Letzte Aktualisierung: 2005

Stellungsnahme zum Observationsskandal

Atomstaat in Niedersachsen – Observationsskandal in Göttingen

Zum wiederholten Male wurde eine Kriminalisierungskampagne der Polizei gegen die Göttinger Anti-Atom-Szene inszeniert. Bereits Ende der siebziger Jahre wurden zwei verdeckte Ermittler des Landeskriminalamtes Niedersachsen eingesetzt, um die Aktivitäten des Göttinger Arbeitskreises gegen Atomenergie zu beobachten. Im Jahre 2001 war der LKA-Ermittler Axel Brinker aufgeflogen, der sich in die linkspolitische Szene der Stadt eingeschleust hatte und von Ende 1999 bis Anfang 2001 im Göttinger Anti-Atom-Plenum aktiv war. In den Novemberwochen vor dem Castortransport von La Hague in das Zwischenlager Gorleben wurde der Göttinger Student Daniel H. zwei Wochen lang rund um die Uhr observiert, seine Telefonate sowie die seiner Mitbewohnerin wurden abgehört.

Dies wurde Daniel H. im Dezember 2004 rückwirkend in einem Schreiben der Polizeidirektion mitgeteilt. Nachdem er mit Hilfe seines Anwaltes Akteneinsicht nehmen konnte, wurde im Juni dieses Jahres nun das Ausmaß der repressiven Maßnahme deutlich: Tag und Nacht vor der Haustür des Betroffenen und seinen Kontaktpersonen , vor der Toilette der Mensa hätten die Beamten gestanden. Am Auto eines Bekannten brachten Polizisten einen GPS- Sender an, in der absurden Annahme, das Fahrzeug würde genutzt werden, um den Castor-Zug zum Halten zu bringen. So wurde ein Kontakt- und Bewegungsprofil sowie eine Persönlichkeitsbeschreibung erstellt. All dies sei ein kleiner Teil der der Observationsakte zu entnehmenden Details, so der Betroffene. Insgesamt wurden mehr als 80 Telefonate abgehört.

Begründet wurde die Maßnahme damit, dass Daniel H. an Treffen des Anti-Atom-Plenums teilgenommen habe. Im Zusammenhang der Castortransporte müsse davon ausgegangen werden, dass die Göttinger Anti-Atom-Szene menschengefährdende Eingriffe in den Schienenverkehr plane. Dazu ein Mitglied des Anti-Atom-Plenums: “Es gibt in der Anti-Atom-Bewegung den klaren Konsens, keine Menschen zu gefährden. Schienenblockaden werden erst dann durchgeführt, wenn es klare Warnhinweise für den Lokführer und die Polizei gibt. Die einzige Gefahr, die dann bleibt, ist die Skrupellosigkeit der Polizei, die teilweise Warnhinweise ignoriert.”

Er wies darauf hin, dass die polizeiliche Überrumpelungstaktik voriges Jahr in Frankreich einem Aktivisten das Leben gekostet hatte. Auch ein wegen Geringfügigkeit und mangels Beweisen eingestelltes Ermittlungsverfahren gegen den Physikstudenten wurde als Observationsgrund herangezogen. Die Gestaltung eines Plakates, welches zu einer Anti-Atom-Party aufrief, wurde ihm zugeschrieben . Diese Annahmen reichten dem Göttinger Amtsrichter Werner, bei dem die Maßnahme genehmigt werden musste, als Gründe für die zweiwöchige Schnüffelei aus.

Rechtsgrundlage für die Observation war Paragraf 33a des im Jahre 2003 verschärften Niedersächsischen Polizeigesetzes. Demnach durften präventiv und ohne konkreten Verdacht auf Straftaten Telefonate abgehört und so in den privaten Lebensbereich von Personen eingedrungen werden. Das Polizeigesetz war im Dezember 2003 im Landtag in Hannover mit Stimmen von CDU und FDP beschlossen worden. Als willkürliches Ordnungsmittel gegen unliebsame linkspolitische Gruppen war es in die öffentliche Diskussion geraten.

Ein Oldenburger Richter hatte sich schließlich mit einer Klage gegen die präventiven Lauschangriffe an das Bundesverfassungsgericht gewandt- am 27. Juli wurde ihm Recht gegeben und der betreffende Paragraf als verfassungswidrig erklärt. Die Karlsruher RichterInnen gaben ihm in allen Punkten Recht, dass der Paragraf nicht verhältnismäßig sei und die Voraussetzungen viel zu unbestimmt seien und eine Benachrichtigung der Betroffenen nicht sichergestellt sei. Davon unabhängig hatte Daniel H. ein Beschwerdeverfahren gegen die Telekommunikationsüberwachung eingereicht. Mit dem Hintergrund des Verfassungsgerichtsurteils wurde der Beschwerde stattgegeben, außerdem konnten die RichterInnen auch die anderen Voraussetzungen des §33a nicht erkennen. Klagen gegen die, ohne richterliche Anordnung durchgeführten Observationsmaßnahmen, befinden sich zur Zeit in Vorbereitung.

Ein weiterer Paragraf des Niedersächsischen Polizeigesetz besagt unter anderem, dass verdächtige Personen vor Großeinsätzen der Polizei wie der Fußball WM oder eben Castortransporten präventiv nun statt vier bis zu zehn Tagen in Gewahrsam genommen werden dürfen.

aap-goe