Letzte Aktualisierung: 2007-10-01

Pressemitteilung des AntiAtomPlenum Göttingen, 1. Oktober 2007

Klage gegen Niedersächsisches Polizeigesetz

Erörterungstermin am 2. Oktober vor dem Verwaltungsgericht Göttingen

Die Klage eines Göttinger Atomkraftgegners gegen eine Polizeiobservation wird erstmalig morgen, am 2. Oktober um 9:30 Uhr vor dem Verwaltungsgericht Göttingen verhandelt. LKA-Beamte hatten den Göttinger Physikstudenten Daniel H. (27) im Vorfeld des Castortransports 2004 zwei Wochen lang auf Schritt und Tritt verfolgt, dabei auch Informationen über die mit ihm in Kontakt stehenden Personen gesammelt, Videoaufnahmen gemacht und am Auto eines Bekannten einen Peilsender angebracht.

Schon 2005 hatte der betroffene Student mit Erfolg gegen das polizeiliche Abhören seines Telefons geklagt – das Bundesverfassungsgericht hatte den zugrunde liegenden Paragrafen des Niedersächsischen Polizeigesetzes für rechtswidrig erklärt. (§33a Nds. SOG, Az. 1 BvR 668/04) Die nun zu verhandelnde Klage betrifft zwei weitere Stellen des Gesetzes, das die vorbeugende längerfristige Observation regelt. (§34 (Observation) und §35 (verdeckter Einsatz technischer Mittel) Nds. SOG)

In diesem Fall wurde die verdeckte Observation damit begründet, dass sie die einzige Möglichkeit wäre, angeblich geplanten militanten Castor-Blockaden auf die Schliche zu kommen. Weder Observation noch Telefonüberwachung erbrachten allerdings Erkenntnisse in dieser Richtung.

Aushebelung von Verfassung und Grundrechten

Bei der Klage geht es nicht nur um die unangemessene Anwendung des Polizeigesetzes, vielmehr wird das umstrittene Gesetz selbst zum Gegenstand der Verhandlung. Anwalt Johannes Hentschel attestiert dem Gesetzestext Beliebigkeit, Unverhältnismäßigkeit sowie mangelnde Normenklarheit und -bestimmtheit. Darüber hinaus überschreite das Gesetz die Gesetzgebungskompetenz des Landes und sei somit rechtswidrig. Die Erörterung um die Rechtmäßigkeit er Niedersächsischen Gesetzes wird auch Auswirkungen auf Bundesebene haben. Denn eine vom Innenministerium vorbereitete Gesetzesnovelle sieht auch für das Bundeskriminalamt ähnliche Befugnisse in der präventiven Gefahrenabwehr vor – in fast gleichem Wortlaut wie der umstrittene Passus im Nds. SOG.

Der sehr vage formulierte Paragraf 34 Nds. SOG ermöglicht die Vorfeldüberwachung von Personen, bei denen „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden”, also noch kein konkreter Verdacht besteht. In seiner Unbestimmtheit ermöglicht das Gesetz im Grunde die Überwachung jedes Menschen. Was ursprünglich mit der Verhinderung von Terroranschlägen begründet wurde, erhält in der Realität ganz andere Anwendungsbereiche. Dass im vorliegenden Beispiel potentielle Atomkraftgegner und Castorblockaden ins Visier der Fahnder geraten, spricht für sich.

Die Überwachung von Verdächtigen und deren Kontaktpersonen berührt den Kernbereich privater Lebensgestaltung und beeinträchtigt die unbefangene Meinungsäußerung und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die vage „Annahme”, jemand könne in Zukunft eine Schienen-Blockade beabsichtigen, rechtfertigt den Einsatz einer langfristigen Observation nicht!

Anwalt Hentschel bestreitet auch die Gesetzgebungskompetenz des Landes Niedersachsen, da es nicht befugt ist, Gesetze zur „Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten” zu erlassen. Somit sind die Paragrafen 34 und 35 Nds. SOG auch aus formellen Gründen verfassungswidrig.

Zuviel Tatort geguckt?

Die Polizeidirektion Göttingen gibt als Begründung der Observation an, der Verdächtige habe als Mitglied des Göttinger AntiAtomPlenums zu militanten Castor-Blockaden aufgerufen. Allerdings könnten die vorgelegten angeblichen Beweise, (falsch zitierte) Zeitschriftenartikel und Plakate, kaum als direkte Aufrufe zu Blockaden gewertet werden. Die meisten konnten nicht einmal direkt dem AntiAtomPlenum, geschweige denn Daniel H., als Verfasser zugeordnet werden. Darüber hinaus wird er – entgegen anders lautendem Gerichtsentscheid – bezichtigt, 2003 Urheber einer Castor-Schienenblockade aus Regenschirmen gewesen zu sein. (Das „Regenschirm-Verfahren” wurde auf Betreiben von Staatsanwaltschaft und Gericht nach §153 StPO eingestellt, da er mit der Barrikade nicht in Verbindung gebracht werden konnte.)

Während der Observation verstiegen sich die Fahnder gar in die Theorie, der Beobachtete könnte auf die Idee kommen, ein Auto als Barrikade vor dem Castorzug auf die Schienen zu rollen. Ein GPS-Peilsender wurde an einem von ihm ausgeliehenen Auto angebracht. Der Wagen wurde zeitweilig auch per Hubschrauber verfolgt und schließlich mit Sprengstoffhunden untersucht, ohne weitere Anhaltspunkte für Straftaten zu entdecken. Die Ermittlungen wurden daraufhin eingestellt. Trotzdem beharrte der Göttinger Polizeisprecher weiterhin auf diesem absurden Vorwurf.

Wiederholt setzt sich die Göttinger Polizei in ihrer Beurteilung über juristische Fakten hinweg, statt einzugestehen, dass die Observation auf einer fehlerhaften Prognose basierte.

Das AntiAtomPlenum unterstützt die Klage, da das Polizeigesetz augenscheinlich polizeilicher Willkür und paranoidem Verfolgungswahn Tür und Tor öffnet und damit eine Bedrohung aller politisch denkenden Menschen darstellt.

Bespitzelung und Repressionen

Auch persönlich sieht sich das AAP dieser Verfolgung ausgesetzt. Seit Jahren werden die öffentlichen Treffen und selbst Vorträge immer wieder von zivilen Polizeibeamten beobachtet und offenbar auch „Anwesenheitslisten” geführt. Über manche AtomkraftgegnerInnen existieren darüber hinaus bei der Göttinger Polizei und auch beim Landesverfassungsschutz genaue Auflistungen über sämtliche Teilnahmen an Demonstrationen. Vergangenes Jahr ist der Versuch des Verfassungsschutzes aufgeflogen, einen Informanten zur Bespitzelung der Göttinger Antiatomszene anzuwerben. 2001 war ein LKA-Beamter enttarnt worden, der ein Jahr lang unter falscher Identität beim AntiAtomPlenum teilgenommen hatte. Die Unterstellung, das AAP oder einzelne Mitglieder würden zu militanten Blockaden aufrufen oder diese planen, lässt weitere Repressionsversuche befürchten. Das AAP wird sich aber weiterhin offensiv gegen die Kriminalisierung der Antiatombewegung einsetzen.

Ganz aktuelle Brisanz erhält das Verfahren durch die derzeitigen Planungen zur Novellierung der BKA-Befugnisse. In diesem Gesetzesentwurf soll auch auf Bundesebene der Kriminalpolizei ermöglicht werden, zur Gefahrenabwehr ohne konkreten Verdacht vorbeugend zu observieren und abzuhören. Angeblich würde dabei auch das Verfassungsgerichtsurteil gegen den Paragrafen 33 des Niedersächsischen Polizeigesetzes berücksichtigt, das das verdachtsunabhängige Telefonabhören für rechtswidrig erklärte. Sollte sich das Verfassungsgericht nun auch mit den §§ 34 und 35 Nds. SOG beschäftigen, könnte die die BKA-Novelle weiter zurechtstutzen und eine Verabschiedung auf die lange Bank schieben. Weitere Auswirkungen sind auch für die Polizeigesetze und deren Reformen in anderen Bundesländern zu erwarten.

Der Erörterungstermin am 2. Oktober um 9:30 Uhr im Verwaltungsgericht könnte der Auftakt zu einem langwierigen Prozess werden und mit einem Verfassungsgerichtsurteil enden. Deutliche Tendenzen können jedoch schon am diesem 1. Verhandlungstag sichtbar werden.

Kontakt:
AntiAtomPlenum Göttingen
http://www.puk.de/aapgoe

Für Rücksprachen stehen zur Verfügung:
Rechtsanwalt Johannes Hentschel
05 51 - 51 73 62 3
Der Betroffene Daniel H. selbst:
im Anschluss an die Verhandlung