Letzte Aktualisierung: 2007-05-26

50 Jahre Selbstbetrug

Von der Atombombe zur Göttinger Erklärung und zurück

Kritischer Beitrag des AntiAtomPlenums zum 50.Jahrestag der "Göttinger Erklärung" gegen atomare Bewaffnung der Bundeswehr

Die 50er Jahre standen im Zeichen des Kalten Krieges und des nuklearen Wettrüstens in Ost und West. Der alliierte Kontrollratsbeschluss untersagte der BRD bis 1955 jegliche Beschäftigung mit Atomtechnologie, die über reine Grundlagenforschung hinausging. Mit wiedererlangter Souveränität und Beitritt zur Nato 1955 setzte die Adenauer/Strauß-Regierung auch den umstrittenen Wiederaufbau der Bundeswehr durch und brachte schon wenig später eine atomare Bewaffnung ins Gespräch. Atomraketen, so Adenauer 1957, seien doch nur die "Weiterentwicklung der Artillerie". Aus dieser Situation heraus entstand die berühmte Protest-Erklärung der 18 westdeutschen Atomphysiker, die am 12.April 1957 von allen Zeitungen publiziert wurde. Es war das erste - und letzte - Mal, dass sich Wissenschaftler öffentlich in die deutsche Außenpolitik einmischten und mit Arbeitsverweigerung drohten.

Aus heutiger Sicht waren die Unterzeichner in ihrem Protest gegen die Atombewaffnung aber viel zu zaghaft und saßen außerdem einem fatalen Trugschluss auf. Denn sie richteten sich nur gegen die militärische Seite von Atomtechnologie, beschränkt auf Deutschland, und sie gelobten nur, "Herstellung, Erprobung oder Einsatz" von Atomwaffen zu verweigern, nicht aber die theoretische Beschäftigung mit militärischer Atomwaffentechnologie. Stattdessen sollte nach dem Willen der Physiker die "friedliche Verwendung" der Atomenergie "mit allen Mitteln" gefördert werden. Dabei hätten ihre eigenen Biografien sie lehren können, dass eine Trennung von "ziviler" und "militärischer" Atomtechnik prinzipiell unmöglich ist.

Ein Großteil der Unterzeichner der Göttinger Erklärung war auch schon unter Hitler an Atomprojekten beteiligt, einige von ihnen, wie Gerlach und Heisenberg, auch in führenden Positionen. Auch wenn sich die Wissenschaftler bei diesen Kernspaltungsexperimenten im "Uranverein" als unpolitische Grundlagenforscher sahen, so war doch allen klar, dass ihr Auftrag darin lag, letztendlich eine deutsche Atombombe zu entwickeln. Technische Unzulänglichkeiten, die im Vergleich zur USA geringe finanzielle Förderung und der Verlauf des Krieges verhinderten die Ausführung. Ob diese Forscher wirklich bereit gewesen wären, Bomben zu bauen, bleibt auch nach ihren eigenen Einschätzungen uneindeutig.

1957 nun betonten sie wieder nur, die konkrete Herstellung zu verweigern, ihr Forscher-Ehrgeiz blieb aber ungebrochen. Sie hatten offenbar immer noch nicht begriffen, dass auch Erkenntnisse der Grundlagenforschung in den falschen Händen in die Katastrophe führen können. Zwischen Otto Hahns Entdeckung der Kernspaltung und dem Abwurf der ersten Atombombe lagen nur 7 Jahre. Es wird erzählt, Hahn hätten Schuldgefühle geplagt - den Nobelpreis für seinen Beitrag (3 Monate nach Hiroshima verliehen) nahm er dennoch dankend an. Im selben Jahr wurde er auch schon zum Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft ernannt. Um ihn herum sammelten sich in Göttingen in den ersten Nachkriegsjahren etliche ehemalige NS-Atomexperten (Bagge, Heisenberg, Korsching, Wirtz, Haxel usw.), bevor viele von ihnen andernorts eigene Forschungseinrichtungen aufbauten und in Atomkommissionen, Regierung und Wirtschaft berieten.

Göttingen, die "Statt, die Wissen schafft", war schon immer Sammelbecken der internationalen Atomköpfe. (Hier lehrten und lernten die Väter der Atom- und Wasserstoffbombe Teller und Oppenheimer, dessen Lehrer Born, sowie Fermi, Bohr, Houtermann, Jourdan, Courant usw.) Auch die erste Anregung, die Kernspaltung militärisch zu nutzen, kam aus Göttingen. Der euphorische Brief des Universitätsprofessors Joos an die zuständigen Ministerien hatte 1938 schließlich die Einberufung des Uranvereins zur Folge.

Vorgeblich sollte der Aufruf einen Schlussstrich ziehen unter diese unrühmliche Vergangenheit. Die Erklärung war aber auch so etwas wie der offizielle Startschuss für einen staatlich geförderten Boom ziviler Atomanlagen. Noch im gleichen Jahr wurde der erste Forschungsreaktor in Garching eingeweiht, 1 Jahr später begann die Entwicklung des Versuchs-Atomkraftwerks in Kahl.

"Gleichzeitig betonen wir, dass es äußerst wichtig ist, die friedliche Verwendung von Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern, und wir wollen an dieser Aufgabe wie bisher mitwirken." (Schlusssatz der Göttinger Erklärung)

Auf dem militärischen Gebiet machte die Bundesregierung nach der Aufsehen erregenden Göttinger Erklärung einen Teil-Rückzieher. Zu groß war der Widerstand der Bevölkerungsmehrheit gegen eine atomare Bundeswehr, und die Bundestagswahl stand kurz bevor.Ein Jahr später beschloss die Parlamentsmehrheit dann doch die Ausstattung der Bundeswehr mit Waffenträgern für Atomraketen, allerdings ohne die Nuklearsprengöpfe. Adenauer und Strauß hatten ohnehin durch die Stationierung amerikanischer Atomraketen im Rahmen der Nato indirekten Zugriff auf Atomwaffen erhalten. Nato-Oberbefehlshaber für Mitteleuropa wurde ein deutscher ehemaliger Wehrmachtsgeneral. Bis heute könnten deutsche Piloten mit deutschen Kampfflugzeugen bei entsprechendem Nato-Befehl Atomraketen abfeuern. Auch über eine enge Zusammenarbeit mit der Atommacht Frankreich versuchte sich die BRD Ende der 50er Jahre, an Atombombenforschung und -Tests zu beteiligen.

Aber auch "zivile" Atomanlagen boten und bieten die Option militärischer Nutzung:

"Jedes Urankraftwerk (ist) zwangsläufig auch eine Kernsprengstofffabrik. In Krisenzeiten oder während des Krieges wird sich keine Regierung den Gewinn an militärischen Machtmitteln durch das produzierte Plutonium entgehen lassen." (Otto Haxel, 1952, Mitunterzeichner der Göttinger Erklärung)

Am deutlichsten wird die Untrennbarkeit von ziviler und militärischer Nutzung bei Wiederaufarbeitungsanlagen und Urananreicherungsanlagen, die leicht zur Herstellung von Atomwaffenmaterial umgerüstet werden können. WAAs können das in AKWs entstandene Plutonium selektieren, das wie auch hochangereichertes Uran für den Bau von Atombomben benötigt wird. Deutschland lagert in den französischen und englischen WAAs derzeit 20 Tonnen Plutonium. Das bei Urananreicherung gleichzeitig abgereicherte Uran kann für Uranmunition verwendet werden, deren panzerbrechende Wirkung z.B. im Kosovo-Krieg geschätzt wurde.

Zu Recht gibt es aktuell internationale Bedenken, wenn der "Schurkenstaat" Iran auf eigener Urananreicherung beharrt. Weniger beachtet von der Weltöffentlichkeit wird dagegen die Urananreicherungsanlage im Westfälischen Gronau, die seit 1985 in Betrieb ist und in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden soll. Für diverse Länder wird hier Uran angereichert, und abgereichertes Uran wird an Russland verschenkt.

"Wer die Bombe will, der kann die bestehenden Anlagen, die es in der Bundesrepublik gibt, nutzen und ist in der Lage, in einem relativ kurzen Zeitraum eine solche Atombombe bauen." (Volker Hauff, Bundesforschungsminister 1987-90)

In der zivil-militärischen Grauzone bewegten sich auch viele meist geheimgehaltene Projekte in den Kernforschungsanstalten. Besonders über die Experimente mit "Mini-Nukes" in der GKSS Geesthacht wird derzeit viel spekuliert. Die Kernforschungsanlagen in Jülich, Karlsruhe und Garching waren auch an Export deutscher Atomtechnik beteiligt. Die Proliferationen gingen bevorzugt in Krisenregionen und Militärdiktaturen (z.B. Argentinien, Südafrika, Pakistan) und unter Umgehung des Atomwaffensperrvertrags. Deutsche Hilfestellung versetzte z.B. Indien in die Lage, ab 1974 eigene Atombomben herzustellen. Technisch sind heute nach offiziellen Angaben 40 Staaten in der Lage, Atomwaffen zu produzieren.

Auch der Mitverfasser der Göttinger Erklärung Hahn war 4 Jahre zuvor verstrickt in den Versuch, 3 Ultrazentrifugen nach Brasilien zu schmuggeln. Diese Prototypen sollten von deutschen Wissenschaftlern in Brasilien weiter entwickelt werden, um Uran anzureichern und Brasilien zu einer Atommacht aufsteigen zu lassen. Die Einzelteile stammten aus 20 verschiedenen deutschen Instituten und wurden in Göttingen zusammengebaut. Dort wurden sie von US-Kontrolleuren beschlagnahmt, denn weder die Produktion noch der Export waren nach damaligen Gesetzen erlaubt. Dies war aber erst der Beginn eines langjährigen Atomtechnik-Austausches mit Brasilien, das erst in den 90er Jahren seine Atomwaffenpläne aufgab.

Göttingens Ehrenbürger Otto Hahn, der immer als bescheidener, nachdenklicher und pfiffiger Zeitgenosse geschildert wird, war übrigens in jungen Jahren an der Entwicklung von Giftgas für den Ersten Weltkrieg beteiligt. Auch dieses basierte auf einer scheinbar harmlosen Erfindung: Kunstdünger.

Vielleicht war es also bei den Physikern um Hahn doch nicht "Selbstbetrug", als sie vorgaben, Atomwaffenforschung strikt abzulehnen. Die Göttinger Erklärung kann auch als der Versuch gelten, die Kittel aller Atomwissenschaftler weiß zu waschen und das Thema Atomenergie von allen negativen Assoziationen zu säubern. Die boomende Atomtechnologie sollte weiter forciert werden, und deutsche Physiker wollten daran teilhaben.

"Alle Arbeit der Physiker für Unterricht und Industrie ist umsonst. Die ganze Arbeit während des Krieges ist umsonst." (Walther Gerlach, Mitunterzeichner der Göttinger Erklärung, August 1945 über die Folgen der Hiroshima-Bombe)

Dass viele Kittel zur Zeit der Göttinger Erklärung nicht weiß waren, wird auch daran deutlich, dass bei Weitem nicht alle wichtigen Atomphysiker unterschrieben hatten. Die Erklärung war weder damals noch heute repräsentativ für die Ethik in der Wissenschaft.

Wer hat die Göttinger Erklärung nicht unterschrieben:
  • z.B. Wilhelm Groth: Der Bonner Uni-Professor war Drahtzieher des Zentrifugenschmuggels nach Brasilien 1953 und erhielt dafür 800000 DM.
  • z.B. Konrad Beyerle: Vor und nach 1945 Zentrifugenexperte, entwickelte am Forschungszentrum Jülich Zentrifugen für Südafrika (das Land war bis zum Ende der Apartheid im Besitz von Atombomben).
  • z.B. Diebner, Bagge, Winterberg: Die Begründer der Kernforschungsanlage Geesthacht. Führten höchstwahrscheinlich geheime Fusionsexperimente mit Mini-Nukes durch. Friedwardt Winterberg zeichnete nach eigenen Angaben schon 1952 Baupläne für eine Wasserstoff-Bombe. Erich Bagge gründete auch das vom Bundesverteidigungsministerium finanzierte Institut für Trendanalysen. Kurt Diebner war Kopf des SS-Atombomben-Projekts, dass noch im April 1945 tödliche Bombentests mit KZ-Häftlingen durchführte.
  • z.B. Walter Trinks und Erich Schumann: versuchten, ab 1947, Patente auf diese SS-Forschung anzumelden. Trinks wurde 1958 Referatsleiter für Sprengstoffphysik im Bundesverteidigungsministerium.

Die Kritik an der militärischen Nutzbarkeit von Atomtechnologie bedeutet nicht, dass rein "zivile" Nutzung harmlos wäre. Die verheerenden Schäden für Mensch und Natur schon beim Uranabbau, die unvermeidbare Strahlenbelastung im Normalbetrieb eines AKWs und die ständige Gefahr eines GAUs, die nicht ungefährlichen, rücksichtslos durchgeführten Atommülltransporte und vor allem das unlösbare unendliche Problem der dauerhaft sicheren Einlagerung machen Atomtechnologie zu einer nicht vertretbaren Bedrohung. Bestes Beispiel dafür ist das volllaufende "Versuchsendlager" Asse2.

Es gibt keine "friedliche" Atomenergie!

Weiterführende Literatur (Auswahl):

  • Elisabeth Kraus, Atomwaffen für die Bundeswehr, in: Physik-Journal 6 (2007)
  • Albrecht Weisker, Erklärung i.S.d.Atombombe, in: Göttinger Tageblatt, 11.April 2007
  • Rainer Karlsch, Hitlers Bombe, 2005
  • Dieter Hofmann (Hsg.), Operation Epsylon, Berlin 1993
  • Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika, Der Griff nach der Bombe, Berlin 1981
  • Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika, Atomstaat - Modell für 3.Welt?, Berlin
  • AntiAtomAktuell Nr.136 (Dez.2002), S.6-22